Andreas Schipplock

Linux in Behörden


Linux kann Windows in Behörden ersetzen. Eine Behauptung, die ich in meiner Filterblase häufiger lese und höre. Und die Verwunderung darüber, wieso es kaum jemand tut, ist groß. Das ist doch ein Selbstläufer. Oder? Sind "die da oben" denn alle dumm? Wieso benutzen die denn noch Windows?

Vielleicht wichtig zu wissen ist, dass ich mit Linux aufgewachsen bin. Ich bin absolut kein Fan von Windows und Microsoft (außer Windows NT4, das war gut :P).

Eine Behauptung ist, dass man für Linux keine Lizenzgebühren bezahlen muss. Faktisch ist das korrekt, aber in der Realität ist diese Aussage absoluter Unsinn. Niemand wird im professionellen Umfeld eine Linux-Distribution einsetzen für die es keinen zugesicherten (bezahlten) Support gibt.

Sagen wir es wird eine kritische Sicherheitslücke in OpenSSL entdeckt. Wie läuft das dann ab? Der Entwickler der Bibliothek behebt den Bug und die Distributionen übernehmen diesen Fix. Dann ist man doch in erster Linie auf den Anbieter der Linux-Distribution angewiesen (Debian, Ubuntu, Redhat, SuSE, etc...). Theoretisch kann man die Bibliothek selbst austauschen, aber in der Realität wird das ja nicht so ablaufen, weil es nicht "skaliert". Ich habe extra OpenSSL als Beispiel gewählt. Bei Debian gibt es btw. keinen Support direkt von Debian. Man ist auf "Partner" angewiesen.

Manchmal sind auch sogenannte "backports" notwendig. Das heißt, dass der Anbieter der Distribution die Korrekturen in der Bibliothek nicht 1:1 übernehmen kann. Er muss die Korrekturen für die Gegebenheiten der Linux-Distribution anpassen. Zusätzlich muss das auch getestet werden. Alles Aufgaben des Anbieters der Distribution. Man ist faktisch von dem Anbieter der Distribution abhängig. Diese Aufgaben kann man alleine nicht leisten. Man darf aber gerne mal Linux from Scratch ausprobieren und versuchen das mit allen benötigten Features aktuell und sicher zu halten. Das bekommt man nicht hin. Wirklich: keine Chance.

Ein anderes Argument für Linux soll sein, dass man ältere Hardware länger nutzen kann. Die Realität ist aber auch, dass Linux aktuelle Geräte nur schlecht oder gar nicht unterstützt, weil die Hersteller das einfach nicht interessiert. Bei Grafikkarten sieht es mittlerweile wirklich gut aus, aber auch nicht perfekt. Wenn man ein nagelneues Modell eines Laptops kauft ist die Chance sehr hoch, dass es mit Linux gar nicht oder nur eingeschränkt nutzbar sein wird. Selbst Geräte, die als "kompatibel mit Linux" ausgezeichnet werden, sind häufig problematisch. Und natürlich hat man als Privatperson die Möglichkeit die "alten" Modelle zu kaufen, aber wenn ich 200 neue Laptops bestelle, dann habe ich oft gar nicht die Möglichkeit ein altes Modell zu wählen. Dass der Hersteller keine Linux-Kompatibilität "anbietet" ist nicht die "Schuld" von Linux, aber es ändert ja nichts daran, dass die Geräte dann nicht mit Linux kompatibel sind.

Und spielt alte Hardware im behördlichen Umfeld überhaupt eine Rolle? Ich weiß, dass man Server- als auch Desktop-Hardware fast immer mit Support kauft. Und wenn es keinen Support mehr zu kaufen gibt, wird die Hardware irgendwann durch neue ersetzt. Für ein Serversystem brauche ich zugesicherten Support. Die Gewissheit, dass ich schnell Ersatzteile (Mainboards, Raid-Controller, Netzteile, Firmware, ...) geliefert bekomme, wenn es mal kracht. Mir ist aber auch bewusst, dass es Szenarien gibt, wo irgendwo ein alter Windows 2000 Server in der Ecke steht und nur funktioniert, weil der Zufall es so will :).

Eine weitere Forderung beschreibt die Meidung aller Microsoft-Produkte. Bisher ging es ja nur darum das Betriebssystem zu tauschen. Aber logischerweise folgt dann die Erkenntnis, dass man dann die Windows-Software nicht mehr nutzen kann.

Also was schlägt man vor? Einfach was anderes benutzen. Am besten OpenSource, weil das ja bekannterweise durch Luft und Liebe entsteht. Wir benutzen MS Office? Kein Problem: einfach LibreOffice verwenden. Jeder weiß, dass LibreOffice genau den gleichen Funktionsumfang hat wie Microsofts Office. Ich will LibreOffice auch nicht schlecht reden, aber es ist nun mal Fakt, dass LibreOffice nicht zu 100% kompatibel mit Microsofts Office ist. Das kann sogar an Microsofts Office selbst liegen, wenn sie sich vielleicht nicht an Standards halten, aber ändert ja nichts an der Situation. Und an wen wendet man sich bei (technischen) Probleme? Es gibt eine Mailinglist und Google. Viel Glück.

Exchange und Outlook ersetzt man einfach mit Open-Xchange. Die Admins sollen einfach lernen damit umzugehen. So könnte die Forderung lauten und wird oft so auch formuliert. Die wollen einfach nur den alten Kram weiter betreiben. Den alten Kram, den sie bereits kennen. Ja, korrekt. Das ist sicherlich auch ein Grund. Open-Xchange kostet btw. auch Geld, wenn man Support braucht. Da steckt nämlich eine Firma dahinter, die sich kümmert und dafür Geld verlangt. So wie Microsoft :). Völlig unerwartet /s.

Als Verzeichnisdienst benutzt man einfach, äh, keine Ahnung, 389ds von Red Hat. Huch, dann bin ich ja von Red Hat abhängig, wenn ich Support benötige. Ach, einfach OpenLDAP nutzen, yolo :). Wird schon gut gehen.

Irgendwer realisiert dann, dass viele Fachanwendungen in den Behörden Windows-Anwendungen sind. Wie löst man dieses Problem? Nichts leichter als das: man macht aus den Desktop-Anwendungen einfach Webanwendungen. Und ruck zuck hat man irgendwo Kubernetes laufen und freut sich ein drittes oder zweites Loch. Also ja, ich finde das Vorhaben nicht grundsätzlich falsch, aber das macht man doch nicht "einfach so". Wer soll das bitte bezahlen? Und wer kümmert sich um die neuen Bugs? Was da an Geldwerten flöten geht...

Ich gehe nur noch auf ein weiteres pro-Argument ein, weil mein Bier auf mich wartet: Unabhängigkeit

Ich verstehe ja, dass man unabhängig sein möchte, aber ist das überhaupt realistisch umsetzbar? Fast jede Alternative zu Microsoft bedeutet eine andere Abhängigkeit. Und diese anderen Abhängigkeiten sind, trotz "OpenSource", imho risikoreicher als Microsoft. Ich nehme in Kauf abhängig von vielen kleineren Firmen zu sein. Ich nehme in Kauf Microsoft durch Red Hat zu ersetzen (wo mittlerweile auch IBM "drin steckt"). Wie unabhängig bin ich denn da? Die ganzen wichtigen Komponenten in Linux werden zu großen Teilen von Red Hat, Canonical, Oracle (jaha!), und Microsoft (ja, wirklich!) entwickelt. Der systemd-Macher arbeitet für Microsoft (nur ein Beispiel). Microsoft könnte ja einfach die Preise erhöhen, aber die anderen doch auch!? Und dann habe ich das gleiche Problem, nur woanders.

Ich habe ganz oft das Gefühl, dass ich von Experten umzingelt bin, die alles quasi selber entwickeln und betreiben können. Und diese Experten fühlen sich auch in der Lage das innerhalb kürzester Zeit umzusetzen. Was ich da schon alles gelesen und gehört habe...da schlackere ich mit den Ohren. Ich bin mir aber (fast) sicher, dass diejenigen, die den Linuxumstieg fordern, absolut keine praktische Erfahrung mit der Realität haben. Zumindest hoffe ich das. Sollte ich falsch liegen, habe ich aber mindestens den Glauben an die Menschheit veloren :D.

Wenn Microsoft ein funktionierendes Gesamtpaket anbietet, das bereits genutzt, verstanden und akzeptiert wird, dann ist es für mich unlogisch das mit Alternativen zu ersetzen, die nicht "ganz so gut funktionieren" und ganz viele andere und vor allem neue Probleme mit sich bringen. Natürlich kann man jetzt mit einer Studie argumentieren, hätte hätte Fahrradkette.

So, Beer o'clock! :)!!!!!!